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Künstlerporträts
Bildergalerie
Xianwei Zhu
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„[…] Wie schön aus heiterer Ferne /
Glänzt einem das herrliche Bild / Der Landschaft […]“
Friedrich Hölderlin, „Der Spaziergang“
Er ist hierzulande gern mit dem Tuschkasten unterwegs, hat das Donautal zeichnend erwandert und den Hohentwiel, Hausberg von Singen im Hegau, als Motiv ins Visier genommen – oder waren es doch ein Fluss und ein Berg in China? Oder Erinnerung? Oder die Fiktion der Kreidefelsen auf Rügen? Das Schaffen von Xianwei Zhu ist ein Prozess der Selbstverortung. Geboren 1971 in Qingdao, China, beschwört der Maler, der sein Kunststudium in Shandong und Hangzhou sowie in Stuttgart absolviert hat, die klassischen Zeiten herauf, um seine beiden Lebenswelten zu erkunden und abzusichern. Es geht um Heimat in einer globalisierten Realität.
Was angesichts der postromantischen Spurensuche und Beschäftigung mit der Zenphilosophie als Weltflucht gedeutet werden könnte, ist in Wahrheit der komplexe Versuch, in die Wesensstruktur des unerschütterlichen ostasiatischen Denkens und der viel berufenen romantischen Seele zugleich vorzudringen. Dass er beides vereint, ist die Stärke seiner Malerei, die mit den verinnerlichten Bildern früherer Epochen eine nachmoderne Perspektive einnimmt. Den asiatischen Betrachtern kommen traditionelle blaugrüne Landschaftskürzel in den Sinn, das mitteleuropäische Publikum denkt an Caspar David Friedrich – beides ist räumlich wie zeitlich weit auseinander. Das spielt aber kaum eine Rolle: Es geht bei aller Naturnähe um die Aneignung eines geistigen Raums.
Ein Aphorismus Friedrichs ist berühmt geworden für das romantische Selbstverständnis: „Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch was er in sich sieht.“ Was sich ihm selbst allerdings im Kopfe auftat, das war schon imposant, um nicht zu sagen: erhaben. Dem Erzromantiker konnte die Diskussion Kants und Schillers kaum entgangen sein, wenn er selbst vom „Gefühl für das Erhabene in der Natur“ schreibt: „Aber das Schönste und das Höchste und das Ergreifendste darzustellen, wäre doch wohl die Aufgabe eines wahren Malers.“ Ausdrücklich hat Friedrich dabei weder „himmelhohe Berge“ noch „endlose Abgründe“ vor Augen. Wegen des dem Maler abverlangten introvertierten Blicks reizt ihn gerade das Unsichtbare. „Wenn eine Gegend sich im Nebel hüllt, erscheint sie größer, erhabener und erhöht die Einbildungskraft und spannt die Erwartung: gleich einem verschleierten Mädchen. Auge und Phantasie fühlen sich im Allgemeinen mehr von der duftigen Ferne angezogen als von dem, [was] so nah und klar vor Augen liegt.“
Xianwei Zhu bewegt sich völlig frei im Nirgendwo zwischen Schwäbischer Alb und Zen; gerade aus der Warte Asiens ist ihm die sinnerfüllte Leere vertraut. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, ein Zeitgenosse Caspar David Friedrichs, hat sich damit beschäftigt und eine Art negative Theologie im besten Sinne entwickelt, die der Romantiker letztlich auch hat, lässt er seinen Gott doch nur in und durch die gefühlte Natur in Erscheinung treten. Über Hegel, Schopenhauer und Heidegger haben sich die buddhistischen Werte der Leere und des Nichts als „Religion des In-sich-Seins“ in unsere westliche Gegenwart eingeschrieben. Xianwei Zhu wird in der Lektüre heimisch, weiß freilich, dass es ein Gedankenspiel bleibt. Die flüchtigen Pinselspuren deuten nur an, erinnern an die „Acht Ansichten von Hsiao-Hsing“ des Zenmalers Yü Chien: Berg und Fluss, Himmel und Erde gehen ineinander über, werden eins – was dem westlichen Substanzbegriff entgegensteht. Nach der Lehre des japanischen Gelehrten Dōgen gerät alles ins Fließen – sinnlicher wohl als das antik-europäische „panta rhei“ („alles fließt“): Seine blauen Berge „wandern“, es ist die Rede vom „fließenden Berg“. Man muss sich die Malerei Xianwei Zhus unter einem solchen, eben nicht nur metaphorischen, sondern gelebten Bild Dōgens vorstellen: „Die Berge schweben über den Wolken und wandern durch den Himmel. Die Gipfel des Wassers sind die Berge; das Wandern der Berge, aufwärts und abwärts, geschieht ständig auf dem Wasser.“
Xianwei Zhu erinnert an das „wang ji“, das Vergessen, dank dem man überhaupt erst dahin gelangt, wo man hin will: „In a Landscape“. Xianwei Zhu hat die Dichtung des zenbuddhistischen Dichters der Tang-Dynastie und Einsiedlers Han-Shan vor den Bildern der deutschen Romantik hinterfragt, und er hat diese mit der ostasiatischen Tuschemalerei konfrontiert. Die teilweise winzigen, fast entschwindenden Figuren gleichen Boten aus der Vergangenheit, zeugen aber auch von der existenziellen Nichtigkeit im Ganzen der bedrohten Natur. Die romantisch-pantheistische Welt und das Nichts des Zen verklären sich zur Einheit einer „gemalten Philosophie“ (Peter O. Chotjewitz). Zeit- und raumlos macht sich Xianwei Zhu auf die Suche nach sich selbst und nach seiner zuweilen doppelt irrlichternden Welt, um sich einer heiteren Gelassenheit hinzugeben: „Ich suche nach Poesie und Stille in meiner Malerei: einen Zustand der klangvollen Stille, die der Poesie sehr ähnlich ist.“
Günter Baumann
21. Januar bis 2. April 2024
Xianwei Zhu: YUN SHOU / Wolkenhände
Caspar-David-Friedrich-Zentrum, Greifswald
www.caspar-david-friedrich-gesellschaft.de
Die südwestdeutsche Landschaft, zwischen Bodensee und Donau, inspiriert sein aktuelles Werk. Schon 2009 stellte er in der Galerie Vayhinger in Radolfzell am Bodensee aus. Es folgten weitere Artist-in-Residence-Programme und Ausstellungen: 2014 in der Galerie Tobias Schrade, Ulm, „Ein Boot ohne Leine“; 2015 in der Galerie Vayhinger in Singen mit Blick auf den Hausberg, den Hohentwiel.
Für Xianwei war nicht nur der Blick auf den Hohentwiel bedeutsam, er hatte hier seine ost-westliche Philosophie, seine Gedanken malerisch umgesetzt im Residenzprojekt „HOHENTWIEL vs. HANSHAN“. 2018 hatte er durch die Verleihung des Franz-Joseph-Spiegler-Preises einen Arbeitsaufenthalt und eine Ausstellung in der Galerie Schrade im Schloss Mochental bei Ehingen an der Donau; anschließend wurden seine dort entstandenen Arbeiten in der Städtischen Galerie „Badstube“ in Wangen im Allgäu gezeigt. Die Galerie Schlichtenmaier in Stuttgart richtete ihm 2021 die Einzelschau „In a Landscape“ ein.
Xianwei Zhu arbeitet und lebt in Düsseldorf und Stuttgart.
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11/2023